Samstag, 28. September 2024

Ein toller Roman mit viel Deutungsspielraum

 Zwei Leben

Ewald Arenz (Autor*in)


  • Altersempfehlung: ab 18 Jahren
  • ISBN: 978-3-8321-8205-2
  • Erscheinungstermin: 13.09.2024
  • Seiten: 368
  • Verlag: DUMONT

Covertext

1971 in einem Dorf in Süddeutschland.
Als einziges Kind ihrer Eltern gibt es für Roberta keine andere Zukunft als die, einmal die Bäuerin auf dem Hof zu sein. Hier auf dem Land sind Vergangenheitsbewältigung, Kriegsdienstverweigerung, Feminismus, Popkultur und Miniröcke nichts, womit man sich beschäftigt. Hier zählen Arbeit, Gehorsam und moralisches Verhalten. Doch Roberta träumt davon, eigene Kleider zu entwerfen, auch wenn sie genau weiß, dass das ein Traum bleiben wird. Zugleich liebt sie ihren Hof und die körperliche Arbeit in der Natur, in der sie sich zu Hause fühlt. Und dann gibt es da noch den Pfarrerssohn Wilhelm, ihren Freund aus Kindertagen. Die beiden verlieben sich ineinander.
Wilhelm ist nicht nur für Roberta der Grund, im Dorf zu bleiben. Auch seine Mutter Gertrud bleibt wegen ihres Sohnes. Im Gegensatz zu Roberta hasst sie das Landleben und wünscht sich nichts mehr, als weggehen zu können, hinaus in die Welt.
Bald sind beide Frauen gezwungen, ihr Leben zu überdenken und Entscheidungen zu fällen, die nicht nur für sie alles verändern.

Rezension  

Dieser Roman ist nicht der Erste, den ich von Ewald Arenz gelesen habe. Der Autor begeistert immer wieder mit seinen authentischen Protagonisten, lebensnahen Geschichten und einem wundervollen Schreibstil, der es mit wenigen Worten vermag, den Leser die Geschichte spüren zulassen. Das Cover ist sowohl haptisch durch seine fast leinenartige Struktur als auch optisch in Farbe und Motiv sehr schön gestaltet. Es finden sich in dieser Geschichte einige Elemente wieder, die man bereits aus anderen Romanen von Arenz kennt: starke, in ihren gesellschaftlichen Strukturen gefangene und von Großem träumende Frauen, die hart arbeiten und mutige Entscheidungen treffen. Dabei skizziert Arenz bildhaft und detailliert die Umstände der jeweiligen Zeit, in welcher seine Erzählungen spielen.

Dieses Mal spielt die Handlung Anfang der siebziger Jahre im Süden Deutschlands. Im Zentrum dieses Romans stehen zwei Frauen, die zwar in einem Dorf leben, aber kaum Berührungspunkte haben. Zunächst begegnet der Leser der jungen Roberta, die ihre Schneiderlehre in der Stadt abgeschlossen hat und nun in „ihr“ Dorf auf den elterlichen Hof mit allen seinen Verpflichtungen heimkehrt. Einerseits genießt Roberta das Bekannte, Heimelige und Ursprüngliche des Dorfes, andererseits sehnt sie sich fort, hinaus in die Welt – Paris, Amerika. Schnell lebt sich die junge Frau wieder am Hof ein, arbeitet viel und begegnet Wilhelm, ihrem Freund aus Kindertagen. Es dauert nicht lange, bis Robertas Herz für den außergewöhnlichen Pfarrerssohn schlägt und eine zarte Liebe daraus entsteht. Wilhelm und Roberta sind erfüllt von ihrer heimlichen Verbindung, bis Roberta schwanger wird. Damit gerät ihr Traum von Freiheit und Ferne ins Wanken – und auch die bisherige Einheit mit Wilhelm. Es kommt zum Streit zwischen den beiden, in dessen Folge Roberta ein schwierige Entscheidung trifft, die sie später bitter bereut...

Die andere weibliche Hauptfigur ist Wilhelms Mutter Gertrud, die für die Dorfbewohner fast unnahbar ist, da sie anders ist als es diese von einer Pfarrersfrau erwarten. Sie liest viel, bleibt meist für sich und verwöhnt ihren einzigen Sohn. Im Dorf ist Gertrud in den vergangenen zwanzig Jahren nicht heimisch geworden, sie sehnt sich ähnlich wie Roberta in die Ferne. Außerdem ist sie sich ihrer Liebe und Ehe zu Hermann nicht mehr sicher. Da kommt Gertrud das Angebot ihres Bruders Georg wie gerufen: eine mehrwöchige Reise durch Europa. Sie tritt die Reise an, fühlt sich so lebendig und frei wie selten zuvor und begeht in diesem Hochgefühl einen fatalen Fehler. Die beiden Frauen begegnen sich zunächst nur selten und wissen kaum etwas übereinander, doch gleich mehrere unerwartete Ereignisse und ein nicht zu verkraftender Schicksalsschlag bringen sie einander schließlich näher. An diesem Punkt der Geschichte ist das Buch noch lange nicht zu Ende, doch hier weiter in die Tiefe zu gehen würde das Spannendste vorweg nehmen. Den Leser erwarten viele verschiedene Emotionen, die Arenz treffend und mitreißend, aber nicht übertrieben beschreibt. Zudem wird die Geschichte von einigen Nebenhandlungen und erzählerischen Details begleitet, was den Roman zusätzlich interessant macht. Ein Beispiel dafür ist die Beziehung Robertas zu ihrem Großvater, der als Altbauer auf dem Hof lebt und seiner Enkelin eines Tages von seiner Kriegsgefangenschaft in Amerika erzählt. Robertas Drang nach Freiheit wird von den Geschichten des Großvaters genährt und mit der Offenbarung seiner großen Liebe, der er in Amerika begegnete, bestärkt er Roberta in ihrer Liebe zu Wilhelm. Der alte Mann wird für die junge Frau zur wertvollen Stütze, vor allem dann, als ihre Welt scheinbar auseinanderbricht.

Ewald Arenz hat mich erneut begeistert mit seinem Roman „Zwei Leben“, wobei der Titel dem Leser Deutungsspielraum lässt, um welche zwei Leben es sich dabei wohl handelt: das von Roberta und Gertrud, die am Ende mehr verbindet als trennt? Oder ist der Titel eine Anspielung auf ein Leben, welches plötzlich endet und ein weiteres, das mit seiner Entstehung alles verändert?

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